Adventsbock

Besinnliche Geschichten aus dem Block

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FCL-Fans übernehmen Reggio Emilia

Im August 2016 stand das Rückspiel der EL-Qualifikation gegen US Sassuolo an. Da meine Freunde keine Zeit hatten, konnte ich mit meinem Cousin und vier seiner Freunde ans Spiel fahren. Es war dies mein erstes FCL-Spiel im Ausland. Wir machten uns also am Morgen des Spieltags mit dem Auto auf den Weg nach Reggio Emilia, wo das Spiel stattfand. Mein Sehvermögen betrug damals noch rund 5%.

Beim Einchecken ins Hotel begrüssten uns schon die ersten Luzerner beim Vorbeilaufen. Sogleich machten wir uns auf den Weg zum Treffpunkt, wobei wir immer wieder FCL-Fans mit dem weissen Shirt über den Weg liefen. Für mich war dies schon völlig absurd. Wir waren in Italien, trafen aber viel mehr Schweizer/innen als Italiener/innen an. Das erste Bier holten wir in einer Bibliothek oder einem Kiosk. In meinen Erinnerungen war dieser Laden voll mit Büchern und in der Ecke stand ein Bier-Zapfhahn. Jedoch war schon da nicht mehr Verlass auf meine Augen.

 

 

Am Treffpunkt angekommen, sah ich wiederum viele weisse Flecken. Wie mir erklärt wurde, waren das die FCL-Fans in den weissen Luzern-International T-Shirts, welche sich über den gesamten Platz verstreut hatten. Ich war verblüfft. Zuvor war ich schon an vielen Auswärtsspielen, aber noch nie waren so viele unserer Fans da. Die Stimmung war ausgelassen und die Leute durstig. Wir trafen Personen, die wir vor Ort nicht erwartet hätten. Leute die entweder kurzfristig anreisten, oder selten bis nie an Auswärtsspielen anzutreffen waren. Bei brütender Hitze fuhren wir dann im Bus zum Stadion.

Die Stimmung im Stadion war super, auch wenn die drei Gegentore zwischenzeitlich für Dämpfer sorgten. Das Spiel wurde letztendlich auch verloren, jedoch hat das nichts daran geändert, dass es einer der schönsten Tage bleibt, an die ich mich erinnern kann. Dazu beigetragen haben sicher auch die friedliche Stimmung und das schöne Wetter. Vor allem aber war es mein letzter Ausflug bevor ich völlig erblindete, und die Truppe, mit der ich die Reise angetreten hatte, passte mehr als nur zusammen. Wir hatten sehr viel Spass und gerne bedanke ich mich auch hier nochmals bei den fünf Leuten die mich trotz meiner Sehbehinderung mitgenommen haben, obwohl ich nicht einmal alle richtig kannte.

Matchbesuch: Vorher-Nachher

Da selbst spielen nicht mehr geht, hat der passive Fussball noch mehr an Stellenwert in meiner Freizeit gewonnen. Der grösste Unterschied im Gegensatz zur Zeit als ich noch als Normalsehender ins Stadion konnte, ist die Selbstständigkeit. Es fängt beim Anfahrtsweg an. Bis zum Hauptbahnhof würde ich noch allein finden und wenn ich es trainieren würde, vielleicht auch zum Stadion. Dort ist aber Schluss, im Stadion wird es sehr schwierig für mich. Durch die Menge finde ich auch nicht allein zur Toilette oder zum Verpflegungsstand. Ich bin daher sehr stark auf meine Freunde angewiesen.

Ein weiterer Unterschied ist wohl allen klar. Ich sehe nicht was auf dem Rasen passiert. Durch die Stimmung und die Kommentare meiner Freunde bekomme ich jedoch inzwischen Vieles mit. Es passiert jedoch immer noch, dass ich mich über ein Tor freue, obwohl es «nur» ein Elfmeter ist. Oder dass ich einfach mal die Gegner auspfeife, obwohl ich gar nicht weiss wieso. Da ist jedoch Verlass auf meine Freunde oder meine Schwester, die mich danach aufklären.

Natürlich werde ich hie und da mal anders behandelt, bis jetzt jedoch noch nie im negativen Sinne. Zum Beispiel muss ich manchmal vor dem Stadion weniger lange anstehen oder werde am Eingang weniger kontrolliert. Ich schätze auch sehr, dass mir immer wieder Hilfe angeboten wird. Das ist auch einer der Gründe, dass ich gerne ins Stadion komme, in der Kurve fühlt sich immer alles sehr familiär an. Ich glaube, seit meiner Erblindung gehe ich sogar noch lieber ins Stadion.

Verfasst von Edgar
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