Adventsbock

Besinnliche Geschichten aus dem Block

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Der Tag wird kommen

Sonntagmorgen, Null Neunhundert: mein Handy fängt an zu vibrieren und reisst mich nach gefühlten zwei Stunden abrupt aus dem Schlaf. Schande über mich, dass ich nicht gleich durchgezogen habe. Die erste Party in der Nach-Corona-Zeit im Zauberhaus hat Wort gehalten und mein Kopf brummt. Dieses Gefühl habe ich definitiv (nicht) vermisst. Aber wenn man nach so einer Nacht freiwillig und motiviert zugleich aus den Federn hüpft, dann kann dies eigentlich nur einen Grund haben – es ist Matchtag Baby!

Dem Kater und den damit verbundenen Kopfschmerzen zum Trotz gehts unter den Duschkopf. Es wird bestenfalls nicht das einzige Mal an diesem Tage sein, an dem man überströmt wird. Nach dem obligatorischen Mutters-Rührei-und-Speck-z’Morge wird der nach abgestandenem Bier riechende Schal gegriffen und um den Hals gelegt. Bei diesem Duft in der Nase werden Erinnerungen wach. Damals auf den Färöer-Inseln, das Tor in allerletzter Sekunde gegen den Chaos-Club aus dem Rhonental oder die unzähligen Siege gegen den Pflichttestspielgegner aus dem Osten. Einfach geil!

Voller Euphorie schwing ich meinen Hintern auf den Drahtesel und los geht es an den Zweitwohnsitz am Bundesplatz. Der Boden klebt noch von der gestrigen Sause. Dies hindert mich aber nicht auf dem Weg an die Bar. Rasch ist das erste Blonde in der Hand und durch die renovierungsbedürftigen Boxen schallt eine Mischung aus Ballermannschlager, englischem Punkrock oder asozialem Deutschrap.

Das Budget ist kurz vor Mittag schon erschöpft. Der nächste Bankomat wird aufgesucht, der Rubel wird weiter kräftig in das flüssige, kühle Gold investiert. Nach dem Verzehr des obligatorischen Tagesmenus, welches wie in alten Zeiten auf den heutigen Gegner abgestimmt ist, dauern es dann noch knapp zweieinhalb Stunden bis zum Anpfiff.

Der Mob formiert sich vor der Türe des wichtigsten subkulturelen Treffpunkt des Kantons. Vom Megaphon schallt die Sirene, die Gespräche verstummen, die gebündelten Fahnenstangen klappern und das Fussballgesindel setzt sich singend und tobend in Bewegung Richtung Fussballmekka – die Allmend. Während des Fanmarsch wird jedem klar, die Emotionen haben die Krise unbeschadet überstanden und lassen sich eine Stunde vor dem Spiel kaum noch im Banne halten.

Die Vorfreude sieht man mir seit Wochen schon an. Seit Tagen konnte ich kaum mehr Schlafen und jetzt ist es endlich so weit. Ich steh vor der Allmend. Tausend Gedanken schiessen mir durch den Kopf. Liebgewordene, fast vergessene Routinen kommen wieder zum Einsatz…

«Liibesvisitatione-Maa! Niemert Liibesvistiert mech so we du.Liibesvisitatione-Maa Bitte Bitte Bitte läng mech ah – nemm mech!», spielt sich in meinem Kopf in Dauerschleife.

Am Liibesvisitatione-Maa und seinen sanften Fleischwurstfingern vorbei geht es die blau-weisse Treppe hoch. Ich betrete den Block. Ein Kollege tippt mir auf die Schulter und streckt mir ein Bier entgegen, das wie Balsam für meine Seele wirkt. Aber mit Ausruhen ist nicht, Matchvorbereitungen stehen an, die blau-weissen Fetzen werden über die Stangen gestülpt. Ein paar Minuten später wehen die Fahnen endlich wieder durch den Wind.

Dann ist es endlich so weit. Eine Ewigkeit ist vergangen seit wir das zum lezten mal erleben durften – die Mannschafen laufen in die ausverkaufte Allmend ein. «Marmor, Stein und Eisen bricht!» schallt es aus tausenden Kehlen. Leiser sind wir definitiv nicht geworden. Pünktlich zum Anpfiff tauchen Rauchtöpfe und Fackeln die blau-weisse Kurve in ein Nebelmeer. In meinen Augen spiegeln sich die Flammen, die Ohrmuscheln vibrieren, die Meute tobt – und das Beste? Ich bin mittendrin. Wie ich diese Gefühle vermisst habe!

Nach diversen unschönen Zwischenrufen an die Adresse des – mutmasslichen korrupten – Schiedsrichters (die Chancen auf den einzigen guten Schiedsrichter liegen ja bei nur 19.01%), passiert es: TOR für Luzern. Das Bier fliegt wie ein Vogelschwarm durch die Luft, ehe mich einige Tropfen umringen, wie ichs mir am Morgen unter der Dusche ausgemalt habe. Die Fahnen wehen, der Pöbel hüpft im Takt der Trommeln. Das Spiel ist fest in blau weisser Hand, Luzern siegt! Es folgt ein langersehntes und hochverdientes UFFTA. Kurve und Mannschaft fallen auf die Knie nur um Momente später vereint wie ein Phönix aus der Asche empor zu steigen. «Das esch üse FCL!».

Schon ist der ganze Spuk vorbei und Zusammenpacken ist angesagt. Jeder hilft wo er kann. Als Gruppe, als Familie verlässt man das Stadion und flaniert der Zone entgegen. In der Zone genehmige ich mir noch ein letzes Bierchen um mich dann zu verabschieden mit den Worten. «Bis nächste Woche im Extrazug!»

Noch bleibt dieser Tag leider Wunschdenken. Schon als kleines Kind habe ich meinen Blick lieber auf die Ränge gerichtet als auf das Spielfeld. Schnell war für mich klar, dass ich eines Tages ein Teil davon werden wollte. Natürlich wusste ich damals noch nicht, dass mein Fan-Leben jemals derart auf die Probe gestellt werden würde. Ach, wie sehne ich mir diesen Tag herbei, wenn all die aufgestauten Emotionen im Stadion endlich raus können. Dieses Gefühl, welches man dann verspürt – unbeschreiblich.

Verfasst von Max
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