Adventsbock

Besinnliche Geschichten aus dem Block

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Zwei Wochen im April 1995

Es war Frühjahr 1995 und ich hatte gerade erst das Teenie-Alter erreicht. Die Pandemie fand in diesem Jahr glücklicherweise nur im Kino oder als Virus auf dem anscheinend so revolutionären Windows 95 statt. Frühlingsgefühle lösten bei mir lediglich meine zwei imaginären Freundinnen aus dem Aerosmith Videoclip auf MTV aus, denn im realen Leben gestaltet sich das alles noch ein bisschen kompliziert. Fussballerisch hatte in diesem Jahr vor allem das Bosman Urteil für Aufsehen gesorgt, hat es doch den europäischen Fussball für immer verändert.

Hauptthema auf dem Pausenplatz war diese Woche das anstehende Spiel gegen den FC Basel. Der FCL war mit zwei Siegen und zwei Niederlagen für unsere Verhältnisse ganz anständig in die Finalrunde eingestiegen. Da wir uns aber nur ganz knapp und im allerletzten Moment im Direktduell gegen den FCZ für die Finalrunde qualifizieren konnten, standen wir immer noch auf dem letzten Platz der Tabelle. Basel war zwei Punkte vor uns auf Rang 5 platziert und damit in Reichweite. Für die Bebbi war es die erste Saison in der NLA nachdem sie sechs Jahre in der NLB herumlungerten. Auch sie hatten den Sprung in die Finalrunde relativ knapp geschafft.

Nach zwei empfindlichen 4-0 und 1-0 Niederlagen in der Qualifikationsrunde hatten wir mit den Baslern definitiv noch eine Rechnung offen. Die sportliche Ausgangslage war jedoch gar nicht so wichtig, schlussendlich ging es einfach um den Umstand, dass der FC Basel nach Luzern kommt. Mit diesem hatten wir uns zwei Jahre zuvor in der Auf-/Abstiegsrunde erbitterte Duelle geliefert. Zu dieser Zeit konnten die beiden Vereine schweizweit am meisten Zuschauer mobilisieren. In der besagten Auf-/Abstiegsrunde 1993 kämpften mit GC, Luzern und dem FCB drei Hochkaräter um den Aufstieg resp. den Nichtabstieg. Der Zuschauerschnitt war beim FCL (12’000) und dem FCB (14’600) über die ganze Abstiegsrunde doppelt so hoch, wie bei den Teams, die zur selben Zeit in der Finalrunde um die Meisterschaft spielten. Unvergessen bleibt das Heimspiel gegen Basel mit 26’100 Zuschauern (ewiger Stadionrekord) das schlussendlich mit einem grandiosen 4-1 Sieg die Weichen in Richtung direktem Wiederaufstieg stellte. Die Basler ihrerseits, damals übrigens mit Fridel Rausch als Trainer, haben danach den Aufstieg einmal mehr verpasst. Dies war mein allererstes Spiel gegen den FC Basel im Stadion, ganz klassisch mit Papi und FCL-Fahne irgendwo am Zaun in der Horwerkurve.

Aber wieder zurück ins Jahr 1995. Zu dieser Zeit bedeutete für mich ein geliebter Allmendbesuch zuerst einmal knallhartes verhandeln. Wie waren die Noten bei meiner letzten Franz-Prüfung? Wie lange ist es her als sich das letzte Mal ein Lehrer oder die Eltern irgendeiner Mitschülerin über mich beschwerten? Zimmer aufgeräumt? Die Standardtaktik war natürlich immer auch zu erwähnen wer aus der Klasse denn bereit gehen dürfe: «Hey, de Marco ond de Dave dörfed emfall au!!»

Mit der Bedingung das Spiel auf der Lumag-Tribüne zu verfolgen (meine Mutter hatte wohl schon so eine Vorahnung) konnte dieser Teil erfolgreich abgeschlossen werden. Jetzt musste ich mich nur noch um die Tickets kümmern. Mit der Bankgesellschafts-Juniorkarte bewaffnet machte ich mich dann am Mittwochnachmittag auf den Weg zum LZ-Corner im Löwenzenter um eines der begehrten Tickets zu ergattern. Mit dem unglaublich wertvollen Billet in meinem coolen Portemonnaie ging es dann wohl noch kurz in den Jelmoli auf ein Duell am Neo Geo. Das Wochenende kann kommen!

Stadionbesuche waren zu dieser Zeit für mich noch etwas sehr Spezielles. Zum einen, weil diese nicht immer selbstverständlich waren (siehe Verhandlung) und zum anderen, weil es immer irgendwie ein Abtauchen in eine ganz spezielle Welt war. Schon der Fussmarsch zum Stadion hatte etwas Magisches an sich. Schon von weitem konnte man die Flutlichter leuchten sehen und je näher man der Allmend kam, desto intensiver wurde dieser ganz eigene Geruchsmix aus Grillwürsten und Zigarrenrauch.

Die erste Station im Stadion war jeweils der obligate WC-Rollen-Check unter der Stehplatzrampe. Nein es geht hier nicht um Scheisspräferenzen sondern um die Beschaffung von Tifo-Material in Zeiten, wo einem das nicht von der USL abgenommen wurde. Die Lumag-Tribüne war zu dieser Zeit noch eine Stehrampe und ich stand an diesem Spiel praktisch am selben Ort, an dem ich auch heutzutage noch anzutreffen bin: Irgendwo ganz oben in der Mitte in der Nähe der damaligen Box für die TV-Kameras.

Vom Spiel selbst habe ich nur noch wenige, aber dafür umso intensivere Bilder in Erinnerung. Die Zuschauerzahl betrug an diesem Abend 16’500 wobei 6’000 davon aus Basel angereist waren. Dies führte dazu das der Gästeblock quasi die Hälfte des Stadions (ohne Hauptribüne) umfasste. Dieser beinhaltete die gesamte Horwerkurve sowie die Hälfte der Gegengerade, auf der die Luzerner Fans zuhause waren. Die beiden Fanlager wurden lediglich durch einen Polizisten-Käfig voneinander getrennt:

Das Spiel ging los und gefühlt brannte nonstop irgendwo auf Luzerner oder Basler Seite eine oder mehrere Fackeln. Luzern ging dann in der 23. Minute durch Dwi Yulianto Kurniawan in Führung. Wieso dieses Tor für Indonesien von nationaler Bedeutung war, könnt ihr hier nachlesen. In der zweiten Halbzeit baute Stefan Wolf die Führung auf 2-0 aus. Wann genau die ersten Leuchtpetarden geflogen sind, weiss ich nicht mehr. Nachdem aber in der 68. Minute der Basler Admir Smajić (die jüngeren Leser unter euch kennen ev. seine Tochter) mit einer direkten Roten Karte vom Platz gestellt wurde, eskalierte die Situation auf den Rängen endgültig.

Immer wieder flogen Fackeln aufs Feld und mehrmals auch direkt in den Luzerner Block. Das Spiel stand mehrmals kurz vor dem Abbruch. Niemals vergessen werde ich, wie eine verletzte Frau aus dem Luzerner Block mit einer Bahre vor der Lumag quer über das Spielfeld abtransportiert werden musste. Schlussendlich wurde das Spiel dann aber doch zu Ende gespielt und 2-1 gewonnen. Gefeiert wurde der Sieg wohl auch mit einem «Wär ned gomped esch e Basler», das während dieser Zeit die Tribünen immer wieder zum Vibrieren brachte. Aber schaut euch die Bilder selbst an. Nachfolgend eine Zusammenfassung des Spiels, die ich dem Allmendbuch-DVD entnommen habe:

Was das Thema am darauffolgenden Montag resp. der ganzen Woche in der Schule war, könnt ihr euch selbst ausmalen. Vor allem auch weil das nächste Duell mit dem FCB nur wenigen Tagen später stattfinden soll. Das Schicksal wollte es, dass der FCB nur zehn Tage nach dem Skandalspiel im Cup 1/8-Final bereits wieder nach Luzern kommen würde. Das Ganze konnte also noch einmal von vorne beginnen. In den Medien wurde wild spekuliert, ob auf Basler Seite deutsche Hooligans involviert sein werden und wie viele Verletzte es wohl im kommenden Cup-Duell geben wird.

Die Voraussetzungen für eine nächste Verhandlungsrunde mit meinen Eltern waren wohl auch schon besser gewesen. Aber – oh Wunder – ein «gosch eifach ofd Lumag» liess meine Vorfreude bereits wieder ins Unermessliche steigen. Offensichtlich hatten die Vorkommnisse auch auf andere Eltern und FCL Fans keine negative Auswirkung. Im Gegenteil, der Zuschaueraufmarsch beim Cupspiel war sogar noch einmal um 6’000 Zuschauer höher. Das Spiel wurde – ohne grosse weitere Vorkommnisse – vor mehr als 22’000 Zuschauern mit 2-0 gewonnen.

Duelle gegen den FCB verbinde ich heute irgendwie immer noch fest mit dieser Zeit. Es war definitiv eine andere Rivalität als heute, falls es diese denn überhaupt noch gibt. Ich meine aber auch gehört zu haben, dass diese Rivalität bereits irgendwo in den 80er Jahren entstanden ist. Geschichten von 10’000 FCL-Fans, die an ein Auswärtsspiel in Joggeli reisten und durch die Basler Innenstadt marschiert seien, meinte ich gehört zu haben? Ich würde mich freuen, wenn sich vielleicht noch der eine oder andere Zeitzeuge finden lassen würde, der seine damaligen Erlebnisse mit uns teilt.

Verfasst von Tuce
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