Adventsbock

Besinnliche Geschichten aus dem Block

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«Das muess wäg»

Es ist der 6. März 2019. Der FCL bestreitet den Cup-Viertelfinal gegen die Young Boys. Es ist kurz vor 18 Uhr. Das Spiel startet heute trotz Werktag schon früh. Ich bin nicht wie üblich auf Patrouille in den WCs oder repariere einen fehlerhaften Brandmelder, sondern befinde mich zufälligerweise im Kameraraum der sogenannten «Führungsloge», die sich im 3.OG der Haupttribüne befindet. In der Luzerner Fankurve tut sich derweil was. Eine grössere Gruppe Fans marschiert aufs Spielfeld, stellt sich vor dem Tor auf und hält ein Transparent hoch. Dahinter werken weitere Anhänger am Tor rum. Ich lasse mir das am Bildschirm zeigen. Die verbarrikadieren das Gehäuse mit einer Kette inkl. Schloss! Verrückte Sache. Sowas sieht man auch nicht alle Tage. Wir zoomen ran: Wie dick ist diese Kette? Reicht da der Bolzenschneider oder braucht es die Trennscheibe? Hm, das könnte knapp werden.

Die Sachlage ist klar: Wenn ich diese Kette nicht knacke, dann kann das Cupspiel nicht starten. Also ran an die Arbeit. Für den Weg runter ins EG nehme ich den Lift. «Ech be schliesslech au nömme 20gi». Unser Haustechniker-Büro befindet sich zwischen den Sektoren A und D. Hier lagert mein Werkzeug. Ich nehme den Bolzenschneider, den ich im Normalfall bloss zum Knacken der Steward-Schliessfächer (wenn diese ihre Schlüssel wieder mal verlegen) oder zum Wegtrennen von Fahrrad-Schlössern (wenn diese am Spieltag «falsch» parkiert sind) benötige. Heute solls also weder n Schliessfach noch n Velo sein, dass es «zu befreien» gilt. Sondern das Tor. Das Tor im Stadion. Mal was anderes. Los geht’s.

Via Marathon-Tor betrete ich den Innenbereich der gut gefüllten Arena. Schnellen Schrittes laufe ich entlang der Seitenlinie, an den Spielerbänken vorbei in Richtung Fankurve. Ich werde begleitet vom Stellvertretenden Sicherheitschef. «Ned z schnell» meint er. Ich finde: doch, es pressiert. Meine Gedanken und mein Fokus liegen auf der Kette. «Das muess wäg».

Wir befinden uns nun vor der Fankurve. Die Fans sind in der Zwischenzeit wieder zurück im Block. Einzig die Kette inkl. Schloss hängt immer noch zwischen den beiden Pfosten. Wir marschieren auf direktem Weg zum Tor. Im Block haben die Fans ein weiteres Transparent gehisst. Auf diesem steht «Der Schlüssel ist hier, P.S. komm und hol ihn dir». Ich habe das erst im Nachhinein mitbekommen. «Söscht wäri de Schlössu natürli go hole». So aber kommt der Bolzenschneider zum Einsatz. Ich setze die Zange an. Uff, es reicht. Wenige Millimeter dicker, und der Bolzenschneider hätte es nicht geschafft. Dann hätten wir wieder rechts und kehrt machen müssen. Und bis dann Trennscheibe inkl. Stromverkabelung parat gewesen wäre … das hätte Zeit benötigt. So aber fasse ich den Bolzenschneider, drücke ihn zusammen. Ratsch. Die Kette ist zertrennt. Gemeinsam mit meinem Begleiter entfernen wir die gesamte Kette, befreien Pfosten, Latte und Netz vom Eisen.


Die Reaktion seitens der Fankurve überrascht mich etwas. Es ist relativ ruhig. Angst vor wirklich gehässigen Reaktionen der Fans hatte ich zwar nicht. Aber auf etwas fliegendes Bier habe ich mich schon eingestellt. Das ist zwar eklig, aber nicht weiter tragisch. Ausser man kommt auf dem Heimweg mit dem Auto in eine Polizeikontrolle, was mir nach einem FCL-Match, an dem ich in der Fankurve «arbeitend» von fliegendem Torjubel-Bier getroffen wurde, übrigens schon mal passiert ist. Natürlich habe ich dann nach Bier gestunken ohne Ende. Da half alles erklären nichts. «Das glaubtder ke Tschugger». Ich musste blasen. War aber selbsterklärend negativ.
Alles andere als negativ sind die Reaktionen zum Ketten-Knacken: Bereits während dem Weg zum Tor bekomme ich 26 Nachrichten. Im Nachhinein unzählige zusätzliche. Dass ich von den Fans beim Wegtragen der Kette gar noch gefeiert werde, habe ich allerdings nicht mitbekommen. Das ganze Prozedere ist auf alle Fälle sehr speziell. In jeglicher Hinsicht. Wir deponieren die Kette Im Marathon-Tor BC. Geschafft. Auftrag erfolgreich beendet.

Wie singen doch die FCL-Fans vor Kickoff, wenn die Spieler das Feld betreten: «Marmorstein und Eisen bricht, aber unser FCL nicht». An diesem Tag wurde das Eisen bzw. die Eisenkette definitiv gebrochen. Nach Spielschluss bei der Siegesfeier (der FCL hat das Spiel – das gabs dann ja tatsächlich doch noch – spektakulär 4:0 gewonnen) im Stöbli wurde ich von Fans darauf angesprochen, teils auch gelobt. Und einzelne wollten sogar mit mir Selfies machen. Es war etwas skuril. Aber auch lustig.

Schlussendlich ist bei der ganzen Aktion niemand zu Schaden gekommen. Das finde ich gut. Und die Kette. «Es rechtig geils Deng». Die hat das Stadion seither übrigens nie mehr verlassen. Nach dem Match habe ich mir überlegt: «Was machsch met dem Deng?». Ich habe sie behalten. Im Haustechnik-Rüümli eingelagert. Und na-dis-na recyclet. Ein Abschnitt der sogenannten Mörderkette, die das Tor barrikadiert hat, habe ich beispielsweise diesen Sommer verwendet, um nach dem Cupsieg den Chöbu im Fanshop anzuketten. Ich hab ihn mit zwei Schlössern gesichert. Und darauf geachtet, dass niemand den Fanshop mit einem Bolzenschneider betretet. Ich weiss warum.
Im Gegensatz zur Kette habe ich das Stadion bzw. den FCL ein gutes Jahr nach besagtem Cupspiel verlassen um bei einem Luzerner Hotel eine neue berufliche Herausforderung anzunehmen. Das Abschiedsfest mit meinen FCL-Kolleginnen und Kollegen war suuuuper. Nach bloss zwei Monaten war ich dann bereits wieder retour auf der Allmend. Mit meinem Chef im Hotel war ich nicht ganz gleicher Meinung. Irgendwie habe ich Blauweiss zudem auch bereits vermisst. Und das Abschiedsfest konnte mir ja auch keiner mehr nehmen. 😊 Nun bin ich beim FCL wieder als «Huusbüetzer» im Einsatz. Und das für immer. Oder zumindest solange mich der Verein braucht. Mal schauen, was für «Herausforderungen» noch auf mich zukommen.

Ich wünsche allen FCL-Fans tolle Festtage und einen guten Rutsch ins 2022!

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Verfasst von Tschuni
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