Adventsbock

Besinnliche Geschichten aus dem Block

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Cupfinal Sitten – Luzern

1997. Das vergangene Jahrtausend atmete seine letzten Züge. Die Bahn 2000 war erst aufgegleist, der Rinderwahnsinn knapp vorüber, Sepp Blatter amtete als FIFA-Generalsekretär, Rolf Fringer diri­gierte das Ensemble der Schweizer Nati und es gab erste nervöse Zuckungen des Millenium-Cras­hs.

Mittendrin ein Pfingstmontag mit prächtigstem Wetter. Ideal für einen Cupfinal-Party im Wankdorf: die Affiche Sitten-Luzern. Beide Vereine blieben in den Endspielen dieses Bewerbes bisher unge­schlagen, die Walliser allerdings mit einer leicht höheren Frequenz.
Die 90er Jahre waren fussballerisch sowieso fest in Walliser Hand: international liess sich Joseph S. 1998 zum FIFA-König küren und national stibitzte der FC Sion in dieser Dekade neben den obligaten 4 Cupsiegen auch die ersten und einzigen 2 Meistertitel. Anfangs unter der Ägide des Zeitungspa­trons André Luisier, später in den Händen des cholerischen Paten und Visionärs Christian Constantin. Der FCL hingegen hatte mit dem Meistertitel 1989 seinen kurzen Zenit bereits erreicht und versüsste seinen Abstieg 1992 mit dem gleichzeitigen Cupsieg. Danach tuckerte die Ära Simioni (1997 zwar noch am Kommandopult) auf finanzieller Sparflamme mehr und mehr Richtung Bedeutungslosigkeit, was sich in Krampffussball mit einzelnen Lichtblicken widerspiegeln sollte. Die Rollen des Cupfinals 1997 waren also klar verteilt: hier der Walliser Schweizer Meister, da der fast gescheiterte Abstiegs­rundenteilnehmer aus der Zentralschweiz.

Dennoch erfolgte an diesem Montag im Juni ein wahrer Innerschweizer Run Richtung Bundesstadt und altehrwürdiges Wankdorfstadion. Die Tage des Wembley der Schweiz waren zwar gezählt, trotz­dem erhielt es kurz zuvor noch ein verdientes Facelifting: die ungemütlichen und gefährlichen Steh­plätze wurden durch edle Holzbänke ersetzt. Die Kapazität reduzierte sich damit auf 28’400 Zuschau­er. Es sollte neben dem Eidgenössischen Schwingfest 1998 der letzte Höhepunkt in diesem Stadion sein (die weiteren Cupfinals waren nicht von Belang). 2001 wurde es kontrolliert gesprengt.

Mein Ausgangspunkt war die Luzern-Stans-Engelberg-Schmalspurbahn (kurz LSE, wie die Zentral­bahn damals noch hiess). Via Luzern und dem Radio-Pilatus-Extrazug (oder wie auch immer) bahnte ich mir den Weg nach Bern. Meine Nervosität war zum Greifen, trotzdem fand ich zum Stadion. Ein­fach der Party nach. Rund ums Wankdorf im Breitsch-Quartier waren bereits tausende Anhänger bei­der Klubs ausgelassen am Feiern: friedlich vereint bei Fendant, Fondue, Raclette und Bier. Der Pegel an der Aare hat seitdem niemals mehr die Höchstwerte dieses Tages erreicht. Und dies bei Sonnen­schein.

Dann ging es zum Spiel. Bei der Luzerner Mannschaft war fast mehr Wallis drin als beim Starensem­ble aus dem Rhonetal. Tac-Tac-Taktiktrainer Kudi Müller hatte während der Saison das Amt vom Walliser Jean-Paul Brigger übernommen, mit Beat Mutter fischte ein Walliser Torhüterbär mit Ner­ven aus Stahl während Jahren im Trüben und als Zückerchen lieh uns der gütige Constantin den agi­len Josephus Yenay für die Abstiegsrunde (der inklusive einem Championsleague-geblendeten Luzer­ner Doppelpaket nach der Sommerpause bei Sion weiterkicken sollte…).

Die Laola-Wellen waren noch kaum verebbt, die Nationalhyme kaum verstummt und die Holzbänke nicht richtig aufgewärmt, da riss es die korrekt sitzenden Massen von den Sitzen. Blauweiss aus Ent­setzen, die Walliser aus ungläubigem Jubel. Der verhungerte Roller des Franzosen Meyrieu von der rechten Strafraumseite, weder Schuss noch Flanke, war zuviel für Mutters seidenes Nervenkostüm. Die Vorgeschichte: Sportchef Roger Wehrli hatte ihm drei Tage zuvor kommuniziert, dass der Vertrag nicht verlängert würde. Klar, es war Zeit, vielleicht aber nicht der Zeitpunkt.

Dieser Start ins Spiel war dann selbst einem Walliser Kampfhahn zuviel, er machte sich zur Belusti­gung des Publikums auf den Acker. Flitzer waren damals eben noch gefiedert. Der FCL antwortete grandios und glich dank dem heutigen Präsidenten aus. Doch Gaspoz nutzte noch vor Ablauf der ers­ten halben Stunde die letzte Schwäche des Luzerner Schlussmanns, für die restlichen 90 Mi­nuten war Mutter dann ein ausgezeichneter Rückhalt. Der Bayer Wiggerl Kögl egalisier­te das Skore unter grenzenlosem blauweissem Jubel noch vor der Pause. Halbzeit eins war wahnsin­nig.

Halbzeit zwei genauso. Nun übernahm Luzern das Zepter. Die gütige Leihgabe Yenay enteilte Sions Abwehr und wurde gefoult: Penalty. Wolf schritt zum Punkt: 3:2. In dieser Phase wirkten die Walliser Spieler ratlos. Schade hat der FCL den Sack nicht zugemacht. Denn kurz vor Schluss schritt ein Ro­mand zur Tat: Schiedsrichter Claude Détruche aus Thônex. Zwar kein Walliser, dennoch pfiff er einen mehr als fragwürdigen Penalty (das war auch der Start der Rubrik „kuriose Entscheide gegen den FCL in Cupfinals“): 3:3, Verlängerung.
Nach dieser intensiven Verlängerung inklusive Walliser Siegestaumel nach dem vermeintlichen 4:3 kurz vor Schluss, welches VAR-los Minuten später wegen Abseits aberkannt wurde, und nachdem alle wieder zurück auf ihren Bänken waren, stand erstmals ein Penaltyschiessen in einem Cupfinal an (zu­vor gab es noch die Regel der Entscheidungsspiele). Die ersten 8 Schützen trafen souverän. Da­nach versemmelte Sermeter. Kein Problem: Mutter war im Spiel angekommen und parierte den Fol­geelfer. Dummerweise hielt die Serie der vergebenen Elfmeter an: Sawu scheiterte. Danach brach die Serie.

Der Freudentaumel auf Walliser Seite war masslos. Deren Platzsturm naheliegend. Die Reakti­on der Luzerner Seite überragend. Statt das Feiern der Walliser vor der Luzerner Kurve als Provokati­on auf­zufassen, wurde Applaus gespendet und mitgefeiert.
Mit Wehmut ging es auf die Heimreise. Noch heute denke ich über dieses Spiel nach und sinniere, dass eigentlich der FCL die Siegesserie der Walliser in Cupfinals geknackt hat. Dass dies nicht so ist, dafür stehen zwei Namen. Nein, nicht Sawu und Sermeter.

Verfasst von Ché
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