Adventsbock

Besinnliche Geschichten aus dem Block

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Blange för de Tag X

Kontext – wie wichtig ist der Kontext! Denn erst die vergangenen Erinnerungen geben einem Erlebnis die persönliche Süsse. Ohne das Gesamtbild zu verstehen und erlebt zu haben, ist auch der Tag X nur ein gewöhnlicher Tag. Darum:

Rückblende. 26. April 2007. Es muss wohl gegen 22:30 Uhr gewesen sein. Ich, damals 14-jährig, sitze Zuhause vor dem Fernseher und höre die Sätze des Kommentators, welche sich auch heute noch in meinem Gehirn eingebrannt haben: «…und erzwingt wahrscheinlich die Verlängerung. Paquito. Toooooooor für den FC Luzern. Nix mit Verlängerung. Paquito hämmert den Ball ins Netz». 92. Minute. 3-2 auswärts gegen den FCZ. Cupfinal! Auf den Knien rutsche ich im Wohnzimmer umher. «Wir fahren nach Bern» schreie ich meiner Mutter ins Gesicht. Das Ticket dann einige Zeit später auf Ricardo (Asche über mein Haupt) für viel zu viel Geld ersteigert.

Nun denn, es ist so weit, ich stehe im Wankdorf. Umgeben von vielen Tausend anderen «Blau-Weissen». Gigantische Choreo! Es geht gegen den FC Basel – David gegen Goliath, der Kleine gegen den Grossen, der Aufsteiger gegen den Ligakrösus. Lange sieht es gut aus, auch wenn ich mich an das Spiel nicht mehr wirklich erinnern kann. Doch dann kommt die Nachspielzeit. Nicole Petignat zeigt nach einer Schwalbe von Scott Chipperfield auf den Punkt, Zibung wird des Feldes verwiesen. Zum ersten Mal Hass: Fussballmafia SFV! Niedergeschlagen ziehe ich von dannen…

11. April 2012. Mittwochabend. Diesmal sitze ich in meinem Pizzakurier-Auto als neue Helden geboren werden. Zäck, bumm – Adi Winter haut den Ball nach Laserpassvorlage von Sally Sarr Superstar in die Maschen. Der Kommentator auf Radio Pilatus dreht ein erstes Mal durch! 90 Minuten später ist es Tatsache. Sion auswärts besiegt. Endlich wieder Cupfinal – und schon wieder gegen Basel!

Die Zeit dahin ist aufregend. Ein musikalisches Highlight jagt das nächste – ihr wisst schon… «gwönne, gwönne..»! Aus meinem Wecker dröhnt seit Wochen jedoch ausschliesslich «An Tagen wie diesen». Es soll ja schliesslich unser grosser Tag werden. Was folgt ist bis heute meine bitterste Niederlage. Da spielen unsere Jungs den grossen FC Basel gefühlt an die Wand und am Ende reicht es nicht. Am Ende feiern wieder einmal die «Rot-Blauen» – als hätten sie nicht schon genug gewonnen in den letzten Jahren. Und wieder steht der Unparteiische im Mittelpunkt: Kein Elfer für Luzern, keine rote Karte gegen Kovac. Also schon wieder: Hass, Fussballmafia SFV! Als ich nach dem Spiel auf dem Weg zum Bahnhof bin, höre ich aus dem Stadion das Lied «An Tagen wie diesen…». Tiefpunkt. Heute war nicht unser Tag.

24. Mai 2021. 9 Jahre mussten wir warten, bis es endlich wieder soweit ist: Cupfinal! Und während ich da im Vögeligärtli stehe, schaue ich in die Runde. In all die freudigen Gesichter. Menschen, die mit mir über ein Jahrzehnt lang denselben Traum verfolgt haben. Menschen, die mich nicht kennen. Menschen, die ich nicht kenne, aber trotzdem ein bekanntes Gesicht darstellen. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass ich mich fast noch mehr für euch alle freue. Das wir es alle gemeinsam geschafft haben – nach all den Jahren!

Bereits während dem Spiel ziehen meine Gedanken weiter zu den Erinnerungen, die diesen Weg – nebst den beiden beschriebenen Cupfinals – ausgemacht haben. Die Erinnerungen, die ich mit euch allen Teilen durfte:

Was waren das für Spiele auf der alten Allmend. Oft neben dem «Hüetliclub» um die Punkte gebannt, die Tänze des grossartigen Jean-Michel Tchouga beklatscht, trotz roter Laterne den FC Basel 5-1 nach Hause geschossen, kurz ein 0-3 gegen GC in den letzten Minuten aufgeholt (höi Coltorti), Lustrinelli mit seinem Volley-Knaller nach einer 40 Meter Gedenkflanke von CL7 gesehen, dem ehemaligen Fanarbeiter nach dem 1-1 gegen Sion im Cuphalbfinal fast den Rücken gebrochen (vgl. Türchen Nr. 10), Paiva und seine Freude am Schnee genossen, Pascal Bader Fussballgott besungen, im letzten Spiel gegen Lugano um das Überleben gekämpft (danke Retter-Rolf!).

Was waren das für Spiele im Gersag. Oft trotz strömendem Regen bis zum Schluss ausgeharrt, in einem Jahrhundertspiel 4 zu 5 gegen Basel verloren, sich zum ersten Mal nach einer Ewigkeit Europa beim eigentlichen Schaulaufen des «Meisters» YB gesichert, zusehen wie manch ein Flügelläufer des Gegners ziemlich schnell an der Aussenbahn der Kurve abtaucht, für keine Folgeschäden beim sterbenden Schwan Ruiz gehofft, erlebt wie Ianu sich in die Herzen der Fans schoss, die Künste des Hakan Yakins bewundert, als Wintermeister dem Wintermärli gelauscht.

 

Was waren das für Spiele auf der neuen Allmend. Als die Zaubermaus Hyka uns zum ersten Mal jubeln lässt, Simon Grether gegen den FCZ das Tor des Lebens schiesst, St.Gallen wie in einem Tennisspiel (6-2) weggeballert wird, Lezcano seinen Unmut über den Schiedsrichter à la Zidane loslässt, das Migros Catering wieder mal heillos überfordert ist, gegen Genk die «schönsti Stadt am See» hochgelebt wird, ich meinen neuen (Sitz-)Platz neben der Kurve beziehen kann, der australische Künstler Bozanic unseren Saisonstart versüsst, CL7 seinen gebürtigen Abgang erhält.

Was waren das für Spiele auf internationalem Parkett. In Utrecht durch den laaaaangen Tunnel mitten ins Glück, in Holland mit Sonnenstich und Fieber anstatt nach Genk zurück nach Hause, in Sassuolo trotz Arbeitsverweigerung der Italiener dann bei 40 Grad vom grossen Coup geträumt, in Osijek nur knapp dem Krankenhaus entkommen, in Barcelona eine weitere Mafia kennengelernt.

Was waren das für Momente auf den Auswärtsfahrten mit dem «Waaaaaageeeeeee 2». Im Joggeli eine Luzern-Polonaise miterlebt, im Schletzigrund mit Rumpunschbechern den Eifelturm übertroffen, ebenfalls im Schletzi im Frühwinter mit Meisterträumen oben-ohne der Kälte getrotzt, als Esel verkleidet einen grossartigen Fasnachtssunntig erlebt, dutzende «Mätchli» beim Jassen mit einem guten Tropfen Gin begossen («Gin, Gin, Gingis Kahn»), die Delikatesse Fackelspiess im Brügglifäld geschmaust, die unterhöhlten Geleise in St.Gallen analysiert, zu eigens erstellten Remix-Meisterwerken gelauscht, durch den Protectas-Blocksturm in Bern den Glauben an die Meinungsfreiheit verloren, in Lausanne jedes Mal auf den Berg hoch gerannt, dank der SBB nach einem verlorenen Cup-Halbfinal eine «Tour-de-Suisse» gemacht, mit sich stets ändernen Anpfiffritualen versucht den Fussballgott zu beeinflussen (Fisherman’s grüssen), unsere Jungs mit ihren Landesflaggen unterstützt (Georgischer Gruss an Vako), die Thuner Gastfreundschaft kennengelernt.

Was waren das für Momente im «Schwiizer-Cup». Mit dem Regelzug von Délemont nach Hause (vgl. auch Türchen 7) getuckert, in Nyon den preiswerten Weisswein degustiert, in Naters der klangvollsten Guido-Werwolf-Show gelauscht, in Le Locle miterlebt wie gewisse Exponenten ihre Getränke auf kreativste Art und Weise in das Stadion mitgenommen haben, in Murten mit einer weiteren Luzern-Polognaise das Stängeli gefeiert.

Was waren das für Momente neben dem Platz. Beim USL-Cup die Knochen hingehalten, vor dem und auch im Schweizerhof die europäischen Träume begossen, im Zauberhuus einige Feste durchgestanden, am USL-Jubiläumsspiel uns selbst gefeiert, die lyrischen Höhepunkte im FCL-Forum und von Just Can’t Beat That gelesen, über die lyrischen Tiefpunkte der FCL-Kommunikationsabteilung den Kopf geschüttelt, gegen das Fahnenverbot für eine freie Fankultur gekämpft, an der FCL-GV den (grossen) Zukunftsplänen gelauscht.

All diese Geschichten (und viele weitere…) sind Teil des eingangs erwähnten Kontexts. Ohne sie wäre die Bedeutung des Cupsiegs vergleichbar mit einem Kebab um 4 Uhr morgens – irgendwie geil, aber am nächsten Morgen vergessen. Nun denn, jahrelang habe ich gesagt: «Es gibt Dinge, die werden sich nie ändern». Am 24. Mai 2021 hat sich alles verändert – danke FCL, Cupsiegerjungs!

PS: An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an all die bekannten und unbekannten Wegbegleiter in den letzten Jahren – es war eine fantastische Reise, mögen viele weitere Geschichten und «Chöbu» dazukommen! Nome Lozärn!

Verfasst von Oirdnas
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