Adventsbock

Besinnliche Geschichten aus dem Block

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Der apokalyptische Cup-Klappstuhl

8. Juni Pfingstmontag 1992 – Ich war gerade 10 geworden einige Wochen vorher. Cupfinal Tag. Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen historischen Tag im Gegensatz zum 10. Juni 1989 als ich zum ersten Mal von meinem Götti ins altehrwürdige Stadion Allmend mitgeschleppt wurde. Okay, damals erstes Spiel gegen Servette und dann gleich mal easy mit dem Pott nach Hause fahren. War schon auch bitzeli geil. Leider habe ich aber wirklich keine Bilder von diesem Meister-Match mehr im Kopf. Ganz anders vom oben angesprochenen Cupfinal 1992.

Mein Götti holte mich mit seinem legendären Saab 900 ab. (Ich glaube es war sogar die Turbo Ausführung). Wir fuhren Richtung Bern, zum Wankdorf Stadion. Überall blau-weiss. So weit das Auge reichte. Ich selbstverständlich im Trikot und mit grosser Fahne. Mein Götti ziemlich casual. Er war nicht gerade der Typ, der sich Flaggen ins Gesicht schminkte und für ekstatische Jubelstürme bekannt war. Die Vorfreude und die Nervosität kannten aber auch bei ihm keine Grenzen. Wir gingen ins Stadion und bezogen unseren Platz. Direkt unter der legendären Wankdorf Stadionuhr irgendwo in der Ecke des Stadions. Ich hab kaum was gesehen. Enttäuschung pur. Aber nur für wenige Sekunden. Mein Götti zückte einen kleinen holzigen Klappstuhl, stellte ihn mir hin und sagte: „Steh irgendwie drauf und du hast den besten Platz im ganzen Stadion!“ Selbstverständlich habe ich ihm das geglaubt. Geile Siech, dachte ich mir. Dieser Klappstuhl sollte dann 29 Jahre später wieder zur Legende werden. Dazu aber später mehr.

Spiel ging los. Die FCL Fans sangen die Luganesi so was von an die Wand. Ich war beeindruckt. Nur blau-weiss. Nur FCL. Nome Lozärn. Ich war elektrisiert. Ich glaube das war das erste Mal, dass ich irgendwie so richtig das Gefühl hatte, ein Teil von etwas Grossem zu sein. Ein Luzerner zu sein. Ein Blau-Weisser. Damals wusste noch niemand, dass dies bis heute so bleiben würde. Zeitweise in ausschweifender Manier und bis heute tief im Herzen eingebrannt. Lugano schoss das erste Tor. Andrioli mit einem Sonntagsschuss. Beat Mutter im dümmsten Moment ausgerutscht. Totenstille in unserer Ecke. Wilde Jubelszenen und ein Fackelmeer im Lugano Sektor. Meine Fahnenspitze gegen den Boden gerichtet. Ich war enttäuscht. Aber auch hier hatte mein Götti wieder ein Ass im Ärmel. Er holte Pommes Frites. Und verpasste prompt den nächsten Sonntagsschuss von Heinz „Dos Santos“ Moser zum 1:1. Alles wieder gut. Pommes in der Hand und ein breites Grinsen im Gesicht. Pause. Nach dem Seitenwechsel plätscherte das Spiel ein bisschen vor sich hin. Ich stand da nach wie vor auf meinem Klappstuhl und betete gegen den Himmel, dass endlich das Siegtor fallen würde. Es fiel vorerst nicht. Dazu musste ich eigentlich schon seit der 70. Minute dringend aufs Klo. Vor der Verlängerung ging es dann nicht mehr. Ich habe wohl noch nie so schnell uriniert, wie damals. Wollte so schnell wie möglich wieder auf meinem Platz sein. Okay, ich habe auch selten so wenig getrunken an einem Match wie damals. Dann kam die 96. Minute. Adi Knup würgte den Ball irgendwie rein. TOR! Das Stadion explodierte. Alles drehte sich. Mein kleiner Körper vibrierte etwa 160 mal mehr als damals als ich bei den E-Junioren mit 8 Toren den FC Emmenbrücke im Alleingang abgeschossen hatte. Kurzzeitig fiel ich sogar vom Klappstuhl. Mein sonst eher kontrollierter Götti lag irgendeiner scharfen Blondine in den Armen, die gerade neben ihm stand. Ich glaube er hat die Situation ein bisschen ausgenutzt – aber egal, geile Siech, dachte ich mir. Und ich schwenkte meine Fahne, wie es nicht mal die Profis von der Fahnenschwinger-Vereinigung aus dem Muotathal gekonnt hätten. Knup machte dann kurz darauf den Deckel drauf zum 3:1 und die Sause war so was von lanciert. Das Bild von Knup und Rueda, als sie den Cup in die Höhe stemmten, habe ich bis heute sehr präsent. Ich war stolz wie Bolle. Die Welt lag mir zu Füssen. Immer noch auf meinem Klappstüehli stehend, wollte ich gar nicht mehr nach Hause bis dann mein Götti irgendwann meinte, dass wir nun langsam aufbrechen würden. Ich stieg herab, wir packten den Klappstuhl und unsere Jacken und zogen als Cupsiegerjungs von dannen. Etwas widerwillig erlaubte mir dann mein Götti sogar, dass ich die FCL-Fahne wohl auf dem gefühlt halben Weg nach Hause aus dem Saab heraus schwenken durfte. Zuhause angekommen natürlich mit der Fahne mal noch easy durch das ganze Dorf „gsecklet“ und allen auf den Sack gegangen. Wenige Tage zuvor waren wir zwar abgestiegen, aber wir waren jetzt Cupsieger. Ich war Cupsieger. Der kleine Bub auf dem Klappstuhl unter der Wankdorf – Stadionuhr. Die Welt war wieder in Ordnung. Ein ganz grosser Tag.

Nun, spuhlen wir den Film 26 Jahre vorwärts, sprich ins Jahr 2018. Mein Götti zügelte und räumte den Keller. Und was fand er da? Genau, den hölzernen Klappstuhl vom Cupfinal 1992. Er rief mich an und fragte mich, ob ich den haben möchte. Er hätte ihn nie wegwerfen wollen und zeitweise ehrlich gesagt auch bisschen vergessen, aber nun würde er ihn wohl entsorgen. Was?!?! Schliiiifts? Keine Frage. Klar nehme ich den. Geile Siech, dachte ich. Gleichzeitig fragte ich mich, wo der Stuhl war, als ich jeweils im Stadion die verloren gegangenen Cupfinals 1997, 2005, 2007 und 2012 ertragen musste. Ich bin sonst nicht abergläubisch oder esoterisch veranlagt, aber ich war mir ziemlich sicher, dass mein Götti ein wenig mitschuldig war, dass wir keinen dieser Finals gewonnen haben. Er hat den Klappstuhl jeweils im Keller gelassen und vergessen. Einfach so. Er war sich der Bedeutung und der Strahlkraft des apokalyptischen Klappstuhls in keinster Weise bewusst. Aber ein nächster Cupfinal würde kommen, da war ich mir sicher.

Und siehe da. Vor wenigen Monaten war es soweit. Nachdem Wind-Lotterie-Spiel in Lugano im Viertelfinale als Müller Schürpf eins in die Fresse geballert hat und dem Halbfinale in Aarau mit dem anschliessenden Gottesempfang auf der Allmend, standen wir im Cupfinal. Gegen Güllen. Endlich wieder. Nur schon die Wochen vom Lugano Spiel bis zum Cupfinal waren ziemlich legendär. SG-Mannschaftscar Corso, Zibung Verabschiedung, Neuer Fansong „Met em blau-wiisse Schal“ inklusive beste Stadtverschönerung ever etc. etc. Ein Highlight jagte das nächste. Das Fieber war zurück. Und das notabene in der Corona-Zeit. Die Zeit in der monatelang niemand ins Stadion durfte. Ein Umstand der das ganze Bild ein bisschen trübt. Aber nun ja – wir standen im Cupfinal. Und da klingelte es bei mir plötzlich. Der Klappstuhl!!! Noch am gleichen Abend nach dem Empfang der Mannschaft auf der Allmend, ging ich gegen Mitternacht in den Estrich und suchte „meinen“ Cupfinal Klappstuhl. Da stand er in der Ecke. Ziemlich abgefuckt und gezeichnet von den letzten 30 Jahren (Passiert übrigens nicht nur Klappstühlen). Ich krallte ihn mir und brachte ihn runter in die Wohnung. Ich war überzeugt davon, dass er nichts an Wirkung und Aura eingebüsst hat seit 1992. Dieses Jahr muss es KLAPPen. Erst recht mit dem KLAPP-Stuhl. Wenn das nicht KLAPPt, weiss ich auch nicht. (Okay genug der flachwitzigen Wortspiele).

Nun ist er gekommen. Der 24. Mai 2021. Cupfinal-Tag. Nach 29 Jahren braucht es neue Helden. Die Tage zuvor war in der Stadt noch nicht so viel zu spüren, aber jetzt am Tag X – Fahnen und Transparente an den Balkonen, jeder dritte der an mir vorbei lief, trug einen blau-weissen Schal um den Hals. Alle auf den Beinen. Monstertrikot am Männliturm. Es gibt kein Zurück mehr. Der Kübel muss zurück in die Stadt. Ich habe ja nun den Klappstuhl von 1992 wieder bei mir. Heute sind wir dran. Davon bin ich überzeugt. Absolut kein Zweifel. Zeit, dass die Stadt wieder brennt und explodiert. Ich stelle den Stuhl auf den Balkon. Binde links und rechts einen Schal drum herum und mach mich dann auf den Weg zum Spiel. Sprich, um das Spiel an einem sogenannten „Public Viewing“ zu verfolgen. Ich kacke mir zwar fast in die Hosen vor Aufregung, aber noch immer bin ich felsenfest davon überzeugt, dass wir den Pott heute holen. Schliesslich steht zuhause auf dem Balkon der Klappstuhl der Apokalypse und wird uns alle reich beschenken.

Das Spiel beginnt. Ich halte es fast nicht aus. Dann die 27. Minute. Einer meiner momentanen Lieblingsspieler schiesst das 1:0. Grande Ibra. Was ein Typ. N’Diaye Fussballgott! Dann der Doppelschlag. Jordy Wehrmann zum 2:0. Nun kann nix mehr schief gehen. Und es ging auch nichts mehr schief. Schlusspfiff. 3:1 Sieg. CUPSIEGER! Ich hab geheult wie ein Schlosshund. Als wäre ich zum dritten Mal Vater geworden. Plötzlich lag ich irgendeiner scharfen Blondine in den Armen, die per Zufall neben mir stand. Okay, ich gebs ja zu, ich habe die Situation vielleicht ein bisschen ausgenutzt. Aber egal. Wir sind Cupsieger. Alles Cupsiegerjungs. Und Mädels. Unfassbar. Es ist ja eigentlich nur Fussball. Ja. Aber irgendwie doch so viel mehr. Zumindest für mich. Danach ab vors Impfzentrum. Beat Züsli sei Dank. Über 10‘000 Leute in Ekstase. Ich sehe Kinder, die so alt sind wie ich damals 1992. Weiss genau wie sie sich fühlen. Der eine oder andere wird wohl ein Leben lang nicht mehr vom blau-weissen Fieber los kommen. So wie ich damals. Und bis heute. Die Cupfeier stellt alles in den Schatten. Die Nacht der Nächte. Unfassbar. Und in der Stunde des Erfolgs erinnere ich mich plötzlich wieder an den einsamen kleinen holzigen Klappstuhl zuhause auf dem Balkon. Er hat uns den Cupsieg gebracht. Ganz klar. Es kann nur an ihm gelegen haben. Was denn sonst?

Unfassbar glücklich, stolz und von der Feier leicht gezeichnet, laufe ich morgens um 2 Uhr mutterseelenalleine heim. Zuhause angekommen, stellt sich mir zuerst die Herausforderung des Schlüssellochs und dann noch drei Stockwerke Treppensteigen. Keuchend oben angekommen, laufe ich auf direktem Wege auf den Balkon. Da steht er. Der kleine holzige apokalyptische Klappstuhl. Der Hansi Burri unter den Klappstühlen. Er hat uns alle zu Cupsiegern gemacht. Ohne ihn wären wir wieder leer ausgegangen. So viel ist klar.

Zur Feier des Tages und mit einer gehörigen Portion Selbstüberschätzung wollte ich mich dann um ca. 3 Uhr morgens noch mit einem Teller Pasta beglücken. Mit Betonung auf „wollte“. Wasser zwar aufgesetzt, Pasta in die Pfanne. Dann aber easy eingeschlafen auf dem Sofa, war ja klar. Irgendwann ging der Feueralarm los, die ganze Bude mal locker eingeräuchert, so dass es auch 2 Wochen später noch gerochen hat, als hätten wir einen verdammten Waldbrand in der Wohnung gehabt. Die Kinder aufgewacht. Die Frau natürlich auch. Die Laune so halb gut. (Okay, sie war tätschhässig). Pfanne komplett ausgebrannt. Pasta schwarz. Meine Frau meinte dann, dass ich jetzt aber aus eigener Tasche ein 6-teiliges brandneues Highend-Pfannenset kaufen soll. So würde ich den Haussegen wenigstens wieder etwas gerade biegen können. Okay fair enough. Selber schuld. Und BRANDneu kann ich ja. Kein Problem. Das habe ich bisschen verkatert natürlich sofort gemacht am nächsten Tag. Kam nach Hause mit den neuen Pfannen und ging zuerst mal auf den Balkon eine Zigi zu rauchen. Oh!!! Da stand er ja immer noch. Der apokalyptische Klappstuhl. Mit den umgebundenen Schals. Wir sind Cupsieger. Dank ihm. Ich schaute auf die Schachtel mit den neuen Pfannen, die mich in etwa so viel gekostet haben, wie drei Auswärtsfahrten. Schaute nochmals das Klappstüehli an und musste plötzlich schmunzeln. Selbst den Umstand, dass wir neue Pfannen zu Hause haben, hat er irgendwie mit zu verantworten. Geile Siech, denk ich mir. Der Klappstuhl hat mein Leben verändert. Zumindest ein kleines Stück. Der nächste Cupfinal kann kommen. Der Klappstuhl der Apokalypse steht bereit. Jederzeit. Und wenn jemand neue Pfannen braucht, kann er den Stuhl auch gerne mal ausleihen. Glaubt mir, er wird auch das geregelt bekommen.

Schöne Adventszeit euch allen. Wünscht euch Pfannen und Klappstühle zu Weihnachten. Wir wollen ja schliesslich bereit sein, wenn der nächste Cupfinal vor der Türe steht.

 

Verfasst von Gabor Gerstenmaier
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